Die versteckten Kosten unserer Ernährung – Wer wirklich den Preis zahlt

Unsere Lebensmittel sind oft günstiger, als sie sein dürften. Denn was wir an der Supermarktkasse zahlen, deckt nur einen Teil der wahren Kosten ab. Auf einer aktuellen Pressekonferenz wurde deutlich: Unsere Art zu produzieren und zu konsumieren hat schwerwiegende Folgen – für Umwelt, Gesundheit und Gesellschaft. Die wahren Kosten unserer Ernährung zahlen wir alle.

Fehlernährung als Systemproblem

Greenpeace veranstaltet eine Pressekonferenz mit Eckart von Hirschhausen (Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen), der Deutschen Allianz für Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) zu den Folgen und Kosten von Lebensmittelproduktion und -konsum für Umwelt und Gesundheit.
Am Mikrofon: Dr. Beate Richter, Wissenschaftliche Referentin Agrarpolitik Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V.

In Ländern mit mittlerem und hohem Einkommen ist Fehlernährung weit verbreitet. Unsere Ernährung ist geprägt von hochverarbeiteten, kalorienreichen und tierischen Lebensmitteln. Obwohl pflanzliche, wenig verarbeitete Nahrungsmittel gesünder und umweltfreundlicher wären, haben Fleisch- und Milchprodukte weiterhin einen hohen Stellenwert. Zwar ist der Konsum von Fleisch und Zucker leicht rückläufig, liegt aber weiterhin deutlich über den Empfehlungen. Beispielsweise konsumieren Menschen in Deutschland fast doppelt so viel Zucker wie empfohlen.

Gleichzeitig ist der Konsum pflanzlicher Alternativen gestiegen – ein positiver Trend, der jedoch noch nicht ausreicht, um die Belastung durch das Ernährungssystem auszugleichen. Die kurzfristigen Vorteile günstiger Lebensmittelpreise überdecken die langfristigen Kosten für Umwelt und Gesundheit.

Speisefette, Öle, Zucker, Fleisch und Milchprodukte sind in den letzten Jahren durch globale Krisen wie den Krieg in der Ukraine teurer geworden – dennoch werden die versteckten Kosten ihrer Produktion kaum beachtet.

Ein Beispiel für die absurde Preislogik: Sojamilch ist oft teurer als Kuhmilch, obwohl ihre Produktion umweltfreundlicher ist. Kundinnen und Kunden am Kühlregal entscheiden sich dann häufig für das günstigere Produkt – wer würde nicht? Aber ist das wirklich eine freie Entscheidung? Man kann nicht erwarten, dass Menschen im Supermarkt ihr Smartphone zücken und recherchieren, was nun besser für Umwelt und Gesundheit ist. Preise sind Botschaften – und sie steuern unser Verhalten.

Umweltfolgen der Fleischproduktion

Ein erheblicher Teil dieser versteckten Kosten geht auf das Konto der tierischen Lebensmittelproduktion. In Deutschland werden rund 50 % der Landesfläche landwirtschaftlich genutzt. Davon wiederum dienen 60 % allein der Futtermittelproduktion für Tiere.

Die Folgen:

  • Rund 9 % der Treibhausgasemissionen in Deutschland stammen aus der Landwirtschaft, vor allem aus der Tierhaltung.
  • Tiere leben oft auf engem Raum, mit wenig Auslauf – ein idealer Nährboden für Krankheitserreger.
  • Der massive Einsatz von Antibiotika fördert Resistenzen.
  • Pestizide und Herbizide schädigen Insekten, Pflanzen und zerstören Lebensräume.
  • Stickstoffdüngung belastet das Grundwasser.

Allein die durch Umweltfolgen entstehenden Kosten werden auf 21 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.

Gesundheitsfolgen: Wenn Nahrung krank macht

Auch gesundheitlich zahlen wir einen hohen Preis:

  • Ein hoher Konsum von rotem und verarbeitetem Fleisch fördert Übergewicht, Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs.
  • Hämeisen, gesättigte Fettsäuren sowie Nitrate und Nitrite tragen zur Entstehung chronischer Entzündungen bei, fördern oxidative Prozesse und beschleunigen Alterung.
  • Ungesunde Ernährung ist laut WHO mitverantwortlich für 11 Millionen Todesfälle pro Jahr – das ist ein Mensch alle elf Minuten.

Die Folgekosten durch ungesunde Ernährung sind enorm:

  • 16 Milliarden Euro Gesundheitskosten durch Fleischkonsum
  • 30 Milliarden Euro jährlich durch Diabetes
  • 63 Milliarden Euro jährlich durch Adipositas

Trotz eines der besten Gesundheitssysteme der Welt liegt die Lebenserwartung in Deutschland deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. Es wird zu wenig in Prävention investiert, dafür umso mehr in Reparaturmedizin. Die Unterschiede in der Lebenserwartung innerhalb Deutschlands ähneln teilweise denen in Entwicklungsländern. Das hat auch mit Ernährung zu tun: Männer essen häufiger Fleisch, leben ungesünder – und sterben früher. Das Bild von Männlichkeit ist oft noch immer an Fleischkonsum geknüpft.

Die verfehlte Preislogik unseres Systems

Wir zahlen nicht nur für unser Essen, sondern auch für die Folgeschäden – über Steuern, Krankenkassenbeiträge und Umweltbelastungen. Trotzdem wird unser jetziges System mit öffentlichen Geldern weiter gestützt:

  • Jährlich rund 5 Milliarden Euro an Mehrwertsteuer-Subventionen für tierische Produkte.
  • Diese Subventionen stärken ein System, das seine Verantwortung gegenüber Umwelt und Gesundheit nicht wahrnimmt.

Ein Konzept namens True-Cost-Accounting fordert, die echten Kosten eines Lebensmittels sichtbar zu machen: Umweltzerstörung, Krankheitslast, Klimaschäden. Ziel: Preise, die gesundes und nachhaltiges Verhalten fördern. Verbraucher:innen sollen nicht länger die Verantwortung allein tragen – es braucht politische Rahmenbedingungen, die gesundes Essen erschwinglich und selbstverständlich machen.

Ein weiteres Problem: Fleisch wird nach wie vor als Wohlstandssymbol verstanden. Für viele Menschen bedeutet es: „Ich hab’s geschafft, ich kann mir das leisten.“ Diese kulturelle Prägung verstärkt ungesunde Entscheidungen. Dabei ist Ernährung auch eine Frage des Vorbilds – und gerade Vorbilder in Medien und Sport senden oft widersprüchliche Botschaften. Fußballer, die privat gesund leben, werben öffentlich für Fast Food oder süße Getränke. Warum?

Was sich ändern muss – konkrete Maßnahmen

Die Konferenz machte klar: Es braucht keine Verbotspolitik, sondern einen fairen Markt mit realistischen Preisen und gesunder Auswahl. Die Vorschläge:

  • Mehrwertsteuerreform: Obst und Gemüse steuerfrei, ungesunde Produkte höher besteuern
  • Abschaffung der Subventionen für tierische Lebensmittel
  • Gemeinschaftsverpflegung verbessern: Täglich essen 16 Mio. Menschen in Kantinen, Kitas, Schulen, Krankenhäusern – dort müssen gesunde, pflanzliche Mahlzeiten zur Norm werden
  • Verbindliche Standards für Schul- und Kitaverpflegung
  • Verbindliche Stunde Bewegung in Kita und Schule
  • Werbeverbote für ungesunde Produkte an Kinder (z. B. mit zu viel Zucker, Fett, Salz)
  • Ambitionierte Proteinstrategie für pflanzliche Alternativen, keine Alibi-PR
  • Stopp von Greenwashing – statt Imagekampagnen braucht es echte Veränderung

Dazu gehört auch: Gesunde Entscheidungen müssen einfacher sein als ungesunde. „Make the healthy choice the easier choice.“ Solange vegane Produkte mit einem klischeehaften Bio-Image behaftet sind, wirken sie unattraktiv. Was wäre, wenn man sie stattdessen „Heimatküche“ nennt – und die Currywurst in eine abgelegene Ecke räumt und teuer macht?

Internationale Vorbilder: Es geht anders

Andere Länder zeigen, was möglich ist:

  • Großbritannien senkte den Zuckergehalt in Softdrinks um 30 % – durch gestaffelte Zuckersteuer. In Deutschland: nur 2 % von 2015 bis 2021.
  • Chile zwingt Unternehmen zu Warnhinweisen auf Produkten mit zu viel Zucker, Fett oder Salz. Bunte Comicfiguren auf Verpackungen sind dort verboten, Werbung für ungesunde Produkte ist zu bestimmten Zeiten untersagt. Eine Softdrinksteuer führte zu einem Konsumrückgang von 20 %.
  • Dänemark: Alle öffentlichen Einrichtungen – Kitas, Krankenhäuser – servieren pflanzenbasierte, regionale, saisonale Gerichte. Kindern wird so früh vermittelt, dass diese Ernährung normal ist.

Die politischen Versäumnisse

Im deutschen Koalitionsvertrag ist von alldem kaum etwas zu finden. „Nicht verwunderlich“, hieß es auf der Pressekonferenz, „wenn manche Politiker lieber Food-Influencer spielen, als Verantwortung zu übernehmen.“

Dabei gäbe es klare Ziele:

  • Ausstieg aus Tierhaltungsform 1 und 2 bis 2030
  • Verbot von Werbung für Billigfleisch aus schlechter Haltung
  • Klimaneutralität der großen Unternehmen bis 2044

Das größere Bild: Gesundheit, Klima und Gerechtigkeit

Nicht nur ungesunde Ernährung, auch Bewegungsmangel, Alkohol und Tabak sind Risikofaktoren für chronische Erkrankungen. Mehr als 80 % dieser Krankheiten gehen darauf zurück – 20 % wären durch bessere Prävention vermeidbar.

Ein gesundes Umfeld muss allen Menschen ermöglichen, sich gut zu ernähren und mehr zu bewegen. Krankenhäuser könnten hier eine Vorbildfunktion übernehmen: Die Uniklinik Essen zeigte, dass ein Drittel der Essensportionen dort täglich weggeworfen wird.

Auch im Einzelhandel ließe sich einiges verändern: Warum gibt es in Supermärkten eine Gesundheitsecke – aber der gesamte restliche Laden steht für das Gegenteil?

Beispiel Lidl: Dort stehen pflanzenbasierte Alternativen inzwischen direkt neben dem Fleischprodukt – zum gleichen Preis.

Fazit: Es ist Zeit, ehrlich zu werden

Dr. Eckart von Hirschhausen

Wir verfeuern täglich fossile Energie, die in Jahrtausenden entstanden ist. Vor 10.000 Jahren begann die Landwirtschaft. Damals war das Klima stabil. Heute verlassen wir diesen sicheren Korridor – und sind schon bei 1,5 °C Erwärmung. Die Folgen sind deutlich spürbar.

Früher machten wildlebende Säugetiere 99 % der Säugetier-Biomasse aus – der Mensch nur etwa 1 %. Heute ist es umgekehrt: 96 % der Biomasse aller Säugetiere auf der Erde besteht aus Menschen und ihren Nutztieren. Nur 4 % sind noch wildlebende Säugetiere. 100 Milliarden Tonnen Nutztiere auf diesem Planeten. Dazu kommen Zoonosen, Pandemien – und unzählige Fleischskandale. Wer erinnert sich an einen Tofuskandal?

Fleisch wird als Genussmittel verkauft – aber es ist ein Stück Todesstoß. Für Menschen, Tiere, Umwelt.

„Kein Medikament hat so einen Hebel wie pflanzenbasierte Ernährung. Und doch wird sie ignoriert. Weniger Fleisch heißt: geringeres Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall.“

„Wie frei bist du, wenn draußen 42 Grad sind? Das sind die echten Freiheitsbeschränkungen – nicht der Verzicht aufs Schnitzel.“

Es gibt genug zu essen auf der Welt – aber es ist ungerecht verteilt. Wir verfüttern Tonnen an Getreide an Tiere, um daraus wenige Kalorien zu gewinnen – und bekommen dafür Gülle, Methan, Kadaver. Aber all das blenden wir aus, wenn das Fleisch tiefgekühlt und anonym im Supermarkt liegt.

„Menschen würden vielleicht umdenken, wenn sie beim Grillfleisch an der Kasse noch einen Eimer Gülle mitbekämen – als Symbol für die wahren Kosten.“

Wir alle sagen, wir lieben Tiere. Aber wir kaufen Futter fürs Kaninchen – und gleichzeitig Hundefutter mit Kaninchenfleisch drin.

Die ältere Generation hatte ein gutes Leben. Aber die nächste Generation wird es wahrscheinlich schwerer haben. Und wer alles mit zerstört hat, sollte wenigstens mithelfen beim Aufräumen. Das lernt man schon im Kindergarten.

Der Wandel ist möglich. Aber wir müssen ihn wollen.

Quelle:

https://www.greenpeace.de/publikationen/Versteckte%20Kosten%20der%20Ern%C3%A4hrung_0.pdf

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert